Freie Kliniken Bremen — Vierfach umsorgt

Brustkrebsfrüherkennung

Blindes Vertrauen

Ihren überragenden Tastsinn setzt sie im St. Joseph-Stift für die Gesundheit ihrer Patientinnen ein: Die stark sehbehinderte Jennifer Bruns ertastet Gewebeveränderungen der Brust.

Silke Meiners

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Die Medizinisch-Taktile Untersucherin Jennifer Bruns klebt vor dem Abtasten nach Knoten karierte Streifen auf den Oberkörper ihrer Patientin, die mit Punkten in ­Blindenschrift versehen sind.

Gabi M. ist sichtlich nervös. Die 40-jährige Mutter zweier Kleinkinder wartet in der Radiologie des St. Joseph-Stift auf eine Untersuchung, vor dessen Ergebnis sie schon jetzt Angst hat. Zwei Frauen in ihrer Familie sind an Krebs erkrankt, da waren sie ungefähr so alt wie Gabi M. heute. Ihre Tante ­verstarb mit gerade 36 Jahren. Vor einigen Wochen hat Gabi M. ihren Mut zusammengenommen und einen Termin für eine Medizinisch-Taktile Unter­suchung zur Brustkrebsfrüherkennung vereinbart.

Die Tür geht auf, eine fröhlich lächelnde Frau streckt Gabi M. die Hand entgegen. »Hallo, mein Name ist Jennifer Bruns, kommen Sie rein«, sagt sie und führt Gabi M. in den Behandlungsraum. Bruns scheint die Verunsicherung ihrer Patientin zu spüren und sagt lachend: »Ja, ich bin stark sehbehindert und kann Sie nur schemenhaft erkennen, man sieht es mir nur nicht an.« Die offene und fröhliche Art der jungen Frau wirkt ansteckend, Gabi M. entspannt sich ein wenig.

Zuerst erfragt Bruns, die von Beruf Medizinisch-Taktile Untersucherin (MTU) ist, den Hormonstatus und die familiäre Vorbelastung ihrer Patientin, um mögliche ­Risikofaktoren abzuklären. Nehmen Sie die Pille? Haben Sie gestillt? Gibt es Fälle von Brustkrebs in Ihrer Familie? Bruns tippt alle Antworten in den Computer. Dann bittet sie ihre Patientin, den Oberkörper zu ent­kleiden. Zunächst tastet sie sorgfältig die Lymphbahnen ab. Dann klebt sie fünf schwarz-weiß-rot-karierte Streifen auf den Ober­körper ihrer Patientin: einen zwischen die Brüste, zwei mittig über die Brustwarzen, jeweils einen unterhalb jeder Achsel – alle parallel zueinander. Die Streifen sind mit Punkten in Blindenschrift versehen. Vier Punkte mar­kieren einen Abstand von einem Zentimeter, zwei Punkte zeigen Bruns, dass sie sich zehn Zenti­meter fortgetastet hat. »Mein Koordinatensystem«, erklärt sie. Mit einem speziellen Griff aus Zeige- und Mittelfinger, dem Walzer, tastet sie sich 40 Minuten lang Zentimeter für Zentimeter voran – in drei Gewebetiefen, damit ihr keine Körperpartie entgeht.

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Ärzte finden in einer Routine­untersuchung Tumore ab einem Durchmesser von 10 bis 15 Milli­metern. Medizinisch-Taktile Untersucherinnen ertasten Befunde ab sechs bis acht Millimeter Durchmesser – das entspricht in etwa der Größe dieser pinkfarbenen Kugel.

Gabi M. will anschließend sofort wissen, ob Bruns etwas ertastet hat. Doch die junge Frau wehrt höflich ab: Das Ergebnis der Untersuchung bespricht nicht die MTU, sondern ein Arzt direkt im Anschluss. Professor Felix Diekmann, Chefarzt der Radiologie im St. Joseph-Stift, erklärt Gabi M., dass Jennifer Bruns tatsächlich eine kleine Veränderung in der rechten Brust ertastet hat, und macht zur Sicherheit gleich einen Ultraschall. »Eine harmlose winzig kleine Zyste, die Frau Bruns erstaunlicherweise ertasten konnte«, erläutert der Radiologe. »Ich habe die Veränderung nicht gefühlt«, gesteht er. »Meiner Meinung nach ist es für einen Arzt fast unmöglich, einen Tumor zu ertasten, der so tief in der Brust sitzt und kleiner als einen Zentimeter ist.« Gabi M. ist erleichtert, dass die Untersuchung gut verlaufen ist und sie wieder nach Hause fahren kann. Zum Abschied verrät sie: »Ich habe mir fest vorgenommen, nächstes Jahr für die Brustkrebsfrüherkennung wieder herzukommen.«

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Taktilographie

Die Taktilographie ist eine ergänzende Diagnoseform in der Brustkrebsfrüherkennung für alle Altersgruppen. Die Kosten von 46,50 Euro übernehmen aktuell 26 gesetzliche Krankenkassen sowie alle privaten Kassen. Die Untersuchung kann auch als Individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) in Anspruch genommen werden. Anmeldung unter Telefon 0421 347-1552.


»Blinde und Sehbehinderte verfügen über eine besondere Gabe«

Jennifer Bruns über ihre Erkrankung und ihren außergewöhnlichen Beruf

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Mit einem speziellen Griff aus Zeige- und Mittelfinger tastet sich Jennifer Bruns 40 Minuten lang Zentimeter für Zentimeter voran.

Gesundheit:Bremen: Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?
Jennifer Bruns: Vor fünf Jahren habe ich die Diagnose Retinitis pigmentosa erhalten. Dabei handelt es sich um eine erbliche Augenkrankheit, die nach und nach zur vollständigen Blindheit führt. Kurz darauf habe ich von der Organisation ›discovering hands‹ erfahren, die blinde und sehbehinderte Menschen zu Medizinisch-Taktilen Untersucherinnen ausbildet. Nach einem erfolgreichen Aufnahmetest wurde ich in einem neunmonatigen Training zur professionellen MTU ausgebildet.

Was ist das Besondere an Ihrer Tastuntersuchung?
Blinde und sehbehinderte Menschen verfügen über eine besondere Gabe: einen überragenden Tastsinn. Durch die Ausbildung kann ich meine Fähigkeiten dazu nutzen, bereits sehr kleine Veränderungen im Brustgewebe frühzeitig zu entdecken. Wir tasten dabei sehr gründlich in drei Gewebetiefen, die gesamte Untersuchung dauert je nach Brustgröße 30 bis 60 Minuten.

Ersetzt die MTU den Ultraschall oder die Mammografie?
Auf keinen Fall. Sie ist eine sinnvolle Ergänzung bei der Brustkrebsfrüherkennung. Besonders auch für Frauen, die vor der Strahlenbelastung einer Mammografie Angst haben. Oder für an Brustkrebs erkrankte Frauen, die nach einer Operation unangenehme Untersuchungen scheuen und bei denen es besonders wichtig ist, einen vielleicht wiederkehrenden Krebs so früh wie möglich zu entdecken.

Das Gespräch führte Silke Meiners

Kontakt

Jennifer Bruns
Discovering hands
0421 347-1552 (Terminvereinbarung)
radiologie@sjs-bremen.de

Krankenhaus St. Joseph-Stift Bremen

Schwachhauser Heerstraße 54

28209 Bremen

www.sjs-bremen.de
https://www.facebook.com/stjosephstift

Weitere Informationen unter:
sjs-bremen.de/(…)kompetenzen(…)discovering-hands(…)

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